Der Liebe auf den zweiten Blick folgt bekanntlich oft eine intensivere und länger harmonische Beziehung. Diese Erkenntnis trifft auch auf das niederösterreichische Weinviertel zu. Bis vor wenigen Jahren von vielen Reisenden links und rechts der Prager und Brünner Straße kaum mit Augenmerk bedacht, erlebt die Region zwischen der March und der Slowakei im Osten, dem Waldviertel im Westen sowie Böhmen und Mähren im Norden seit einigen Jahren eine vielfältige Renaissance. Völlig zu Recht. Hat doch das Viertel viel mehr als die den Namen gebende Weinkultur zu bieten. Mono ist out, Vielfalt ist gefragt. Und wird auch realisiert. Die Region ist von einer wirtschaftlichen, kulturellen wie auch touristischen Aufbruchstimmung und von seiner Landwirtschaft geprägt. Sowie nicht zuletzt von einer fruchtbringenden Symbiose mit seinen Nachbarn.

Anstelle des ehemaligen „Eisernen Vorhanges“, der oftmals zitierten „toten Grenze“, unter dem das Grenzland 45 Jahre zu leiden hatte, prägen Partnerschaft und Kulturaustausch die geopolitische Landschaft. Es wächst – langsam, aber dennoch sicher, wenn auch noch nicht in allen Köpfen – wieder zusammen, was in Zeiten der Monarchie lange Zeit zusammengehört hat. Das ist gut so.

Weite Felder, verschwiegene Wälder, mäandernde Bäche, blühende Gärten und Weinbau prägen die abwechslungsreiche Landschaft. Statt alpiner Gipfel bieten sich sanfte Hügel und Kuppeln dem Erholungssuchenden zum Erklimmen an. Und sie bieten, wohin der Blick sich stets auch wendet, so manchen optischen Genuss. In alle Himmelsrichtungen des Viertels. Ob Staatzer Klippe, Mailberg Valley, Retzer Hügelland usw. – das Weinviertel ist überaus reich an Landschaftsschätzen. Wie ebenso an Burgen, Ruinen, Schlössern, sakralen Gebäuden und attraktiven historischen Landhäusern, die oftmals im optisch Verborgenen allesamt ihre architektonische Pracht entfalten und geschichtsträchtige Vergangenheit dokumentieren. Viele Feste, Ausstellungen sowie Theater- und Musikereignisse prägen das Weinviertler Kulturgeschehen. Wie zum Beispiel das Viertelfestival, das heuer vom 6. Mai bis 6. August in zahlreichen Orten des Weinviertels über die Bühnen gehen wird.

Gemütlichkeit und Gastfreundschaft in der Kellergasse

Das Weinviertel ist ein Land zum Erholen, zum mit der Seele-Baumeln. Balsam für Leib und Geist. Statt Hektik und Stress abwägende Umsicht und bewusst gewählte Slow Motion. Alfred Komareks zum Kult gewordene Szenerie rund um Inspektor Polt hat´s vorgemacht. Nach dem Motto: In der Langsamkeit liegt meistens die Vernunft. Und aus dieser schöpft sich Kraft und Fleiß seiner Bevölkerung und die stets präsente Gastfreundschaft. Nach der allerorts üblichen „Grüß´-Gott“-Begrüßung folgt – zumindest in den zahlreichen, oftmals geradezu romantischen Kellergassen und –triften – die obligatorische Einladung mit den Worten: „Trink a Achterl mit uns“. Das Achterl Wein – und oftmals natürlich mehr während des gemütlichen Beisammenseins – als Maßeinheit des Verbindenden, der Gastfreundschaft und Willkommenskultur. Die Zeitmaschine lässt grüßen.

Es lässt sich gut Leben im Land zwischen March, Thaya, Zaya, Kamp und der mächtigen Donau. Neben Kultur-, Kunst- und Architektur-Liebhabern kommen auch die Gourmets und natürlich letztlich auch die Gourmands voll auf ihre Rechnung. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit galt das Weinviertel in der Meinung vieler Zeitgenossen als kulinarische Wüste. Der berühmte wie ebenso wegen seiner „knochensauren“ Geschmacksrichtung berüchtigte und wohl nur von den echten „Weinbeißern“ hoch geschätzte „Brünnerstraßler“ als Synonym vinophiler Glückseligkeit. Und dazu mächtige Schmankerl-Kalorienbomben in sämtlichen Ausrichtungen als Basis für Adipositas.

Wo es sich gut speisen lässt

Wir wissen ; alles fließt. Auch im Weinviertel. Und damit auch die Erkenntnis über Trink- und Nahrungsgewohnheiten. Die haben sich in den letzten Jahren doch einigermaßen in Richtung Genussbetonung und gesünderes Leben geändert. Nichts gegen einen guten, mit Fett ausreichend marmorierten Schweinsbraten, der Saumeise, das G´selchte mit Kraut und Knödel, den Klassiker Wienerschnitzel mit Erdäpfelsalat. Alles das gibt es – Wirtsleuten sei Dank – natürlich auch noch in nahezu jedem Weinviertler Gasthaus. Wahrscheinlich oftmals sogar besser mundend als in vergangenen Zeiten. Doch die jüngere Generation von Köchinnen und Köchen setzt mehr auf Abwechslung, neue, weniger fettreiche Zubereitungsarten, auf absolut gesunde, verfeinerte regionale Küche mit vorwiegend aus der Region stammenden Nahrungsmitteln. Aber auch manchmal auf „Crossover-Küche“. Sei es mit leichtem mediterranen oder asiatischen Einschlag. Gewissermaßen eine Symbiose zwischen den unterschiedlichsten Esskulturen.

Die Küche des Weinviertels präsentiert sich heute in allen Regionen mit einer Vielfalt wie niemals zuvor. Das Ergebnis: Landauf landab zufriedene Gäste und die laufende Auszeichnung zahlreicher Gasthaus- bzw. Restaurantbetreiber seitens der Gourmettester. Ob im „Gasthaus zur Linde“ in Mistelbach, beim „Bsteh“ in Wulzeshofen, beim „Wagner“ in Hollabrunn, in „Pollaks Retzbacherhof“ in Unterretzbach, im „Gasthaus an der Kreuzung“ in Guntersdorf, beim „Floh“ in Langenlebarn und unzähligen anderen Gasthäusern – wer auch immer in angenehmem Ambiente genussvoll Speisen möchte ist im Weinviertel gut aufgehoben.

Beim Buschenschank

Wie ebenso bei der überwältigen Mehrheit der Heurigen, vulgo Buschenschenken. Die Söhne aber auch die Töchter der Generation der meistens alteingessenen Winzer haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten das Weinimage des Weinviertels von der Masse kräftig in Richtung absolute Qualität, und damit zur Klasse, gewandelt. Sie demonstrieren Jahr für Jahr welche ausgezeichneten Weine sie produzieren. Der Lohn – eine stets sich mehrende Auszeichnungsflut seitens der renommierten Weintester für die Weinviertler Winzer. Für die Liebhaber des Rebensafts erfreulich: Die Klasse kostet keine Masse, die finanziellen Aufwendungen für den Konsumenten sind trotz des enormen Qualitätsschubs – im Gegensatz zu anderen Weinbaugebieten – in Bodennähe und damit in der Regel wohlfeil geblieben. Höhenflüge bei der Weinqualität statt bei den Preisen.

Eines der besten Beispiele dafür ist die Buschenschenke von Josef Loiskandl in Grund, wenige Kilometer von Hollabrunn entfernt. Vor rund einem Vierteljahrhundert ist die Bauernfamilie in den Weinbau voll eingestiegen und hat ein kleines, aber feines Heurigenlokal eröffnet. Damals ein Geheimtipp, heute ein Anziehungspunkt für Wein- und Heurigen-Schmankerl-Genießer. 1997 wurde das neue Heurigenlokal eröffnet. Höchste Qualität bei „Speis´ und Trank“, faire Preisgestaltung sowie kompetente, freundliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeichnen die Buschenschank aus. Längst zählt das Lokal von Josef „Pepperl“ Loiskandl zu den vom Land Niederösterreich ausgezeichneten „Top-100“-Heurigen. Ein markantes Beispiel für zahlreiche andere ausgezeichnete Heurige bzw. Buschenschenken im Weinviertel.

Das Weinviertel – es liegt so nah. Auch für unser gesamtheitliches Wohlbefinden. Eine Reise bzw. ein Ausflug zahlt sich in jedem Fall aus. Wie hat schon einst der bedeutende österreichische Humorist Karl Farkas festgehalten? „Schau´n Sie sich das an“. Tun sie das so bald wie möglich, Sie werden nicht enttäuscht sein.

Kaeseplatte-2 Kopie

www.zur-linde.at
www.bsteh.at
www.retzbacherhof.at
www.hausgnost.at
www.derfloh.at
www.loiskandl.at

© Fotos: Eva Schäfer, Sandra Schäfer

Geschrieben von Stefan Weinbeisser