Dauer 90 Minuten, heißt es im Programmheft. Auf der Bühne zeigt eine Uhr 22.30. Man kann sich folglich denken, spätestens um 24 Uhr wird etwas geschehen. Vor allem, wenn man davor im Programmheft weiter nach hinten geblättert hat und von Daniel Kehlmanns Begeisterung für den Film „High Noon“ und sein Vorhaben auch einmal etwas in Echtzeit zu machen gelesen hat. Was allerdings „tatsächlich“ um Mitternacht am Tag dieses 24. Dezembers geschieht, das erfahren die Zuseher nicht. Durchaus kein Versäumnis, denn wie heißt es doch so schön: Der Weg ist das Ziel. Und immerhin wird in den eineinhalb Stunden unterwegs zum finalen Applaus so einiges aufs Tapet gebracht: Überwachung, Terrorgefahr, die Frage nach den Bürgerrechten, Vertrauen, Verhörmethoden, komplizierte Mann-Frau-Beziehungen und vieles anderes mehr.

Viel Neues bietet sich für die Zuseher in diesem modernen Sorgen-Potpourri allerdings nicht. Musterschülerhaft beschreibt Kehlmann eine Welt, in der die Angst vor dem Terror immer strenger werdende Maßnahmen zur Überwachung legitimieren soll. Schuldig bevor die Unschuld erwiesen ist wird zum Credo eines Systems, in dem man sich auf keinem Fall vorwerfen möchte etwas nicht getan zu haben. Zumindest nicht wenn es um die medienwirksame Verhinderung von Anschlägen geht. Das bekommt auch Philosophieprofessorin Judith zu spüren. Die links orientierte Intellektuelle wird am Weg zu ihren Eltern am Weihnachtsabend abgefangen und in einen Verhörraum (gelungen mit nettem Überraschungseffekt von Bühnenbildner Walter Vogelweider) gebracht.

Reaktion folgt auf Aktion

In dieser isolierten, mit Kameras ausgestatteten Kammer, versucht Thomas der zunächst ratlos Wirkenden ein Geständnis abzuringen. Dass aus dem Dialog in Folge mehr als ein mehr oder minder gebildetes Schwätzchen wird, ist vor allem der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Maria Köstlinger und Bernhard Schir zu verdanken. Schir mimt den Verhörenden in typischer unsympathischer, aber keinesweg dummen Filmpolizisten-Manier.
Judith – zunächst eher eingeschüchtert – ist bald als Tochter aus bürgerlichem Haus, die sich dem Studium linker Theorien verschrieben hat, zu erkennen. Inwieweit sie bereit ist der revolutionstheoretischen Lektüre Praxis folgen zu lassen, gilt es zu klären. Thomas hat – um in einer von ihm und vielen Personen des öffentlichen Lebens verwendeten phrasenhaften Sprache zu bleiben – seine Hausaufgaben gemacht und konfrontiert die Verdächtige mit den von der Polizei sichergestellten Indizienbeweisen. Auf dem Radar der Ermittler ist zudem Judiths Ex-Mann – und das Stück somit um eine Komponente erweitert. Inwieweit stecken die beiden unter einer Decke? Wird es Thomas gelingen, dass Judith den ehemaligen Lebensgefährten ans Messer liefert? Spätestens hier drängen sich Bezüge zur RAF auf. Im Programmheft findet sich sogleich ein Text zum Nachlesen über die Rote Armee Fraktion.

Das ist eine durchaus spannende, zu Beginn nicht unbedingt erwartete thematische Erweiterung. Auf Aktion folgt Reaktion und so weiter. Alles wunderbar konstruiert und ohne Brüche inszeniert. Und eben das ist auch die Schwäche des Abends. Ein bisschen hat man das Gefühl als hätte man eine Szene aus einem soliden Hollywood-Thriller im Theater gesehen – intelligente gute Unterhaltung für die ganze Familie. Wer das sucht ist hier richtig.

Heilig Abend
Theater in der Josefstadt
Josefstädter Straße 26
1080 Wien
Weitere Termine: 13., 14., 18., 19., Februar, 8., 9., 25. bis 27. März, 1., 2., 18., 19., 28. bis 30. April, 1., 2., 17., 18., 22., 23. Mai, 3. bis 5. und 21., 22. Juni 2017
www.josefstadt.org

© Fotos: Sepp Gallauer

Geschrieben von Sandra Schäfer